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Andersen,
Hans Christian (1805-1875)
Zwölf mit der Post
Es war eine schneidende Kälte, sternenheller Himmel, kein Lüftchen
regte sich.
'Bums!' Da wurde ein alter Topf an die Haustüre des Nachbars
geworfen. 'Puff, paff!' Dort knallte die Büchse; man begrüßte
das neue Jahr.
Es war Neujahrsnacht! Jetzt schlug die Turmuhr zwölf!
'Trateratra!' Die Post kam angefahren. Der große Postwagen
hielt vor dem Stadttore an. Er brachte zwölf Personen mit, alle Plätze
waren besetzt.
"Hurra! Hurra! Hoch!" sangen die Leute in den Häusern der Stadt,
wo die Neujahrsnacht gefeiert wurde
und man sich beim zwölften Schlage mit dem gefüllten Glase
erhob, um das neue Jahr leben zu lassen.
"Prost Neujahr!" hieß es, "ein schönes Weib! Viel Geld!
Keinen Ärger und Verdruß!"
Das wünschte man sich gegenseitig, und darauf stieß man
mit den Gläsern an, daß es klang und sang -
und vor dem Stadttore hielt der Postwagen mit den fremden Gästen,
den zwölf Reisenden.
Und wer waren diese Fremden? Jeder von ihnen führte seinen Reisepaß
und sein Gepäck bei sich;
ja, sie brachten sogar Geschenke für mich und dich und alle
Menschen des Städtchens mit. Wer waren sie, was wollten sie, und was
brachten sie?
"Guten Morgen!" riefen sie der Schildwache am Eingange des Stadttores
zu.
"Guten Morgen!" antwortete diese, denn die Uhr hatte ja zwölf
geschlagen.
"Ihr Name? Ihr Stand?" fragte die Schildwache den von ihnen, der
zuerst aus dem Wagen stieg.
"Sehen Sie selbst im Passe nach", antwortete der Mann. "Ich bin ich!"
Und es war auch ein ganzer Kerl, angetan mit Bärenpelz und Pelzstiefeln.
"Ich bin der Mann, in den sehr viele Leute ihre Hoffnung setzen.
Komm morgen zu mir; ich gebe dir ein Neujahrsgeschenk!
Ich werfe Groschen und Taler unter die Leute, ja ich gebe auch Bälle,
volle einunddreißig Bälle,
mehr Nächte kann ich aber nicht daraufgehen lassen. Meine Schiffe
sind eingefroren, aber in meinem Arbeitsraum ist es warm und gemütlich.
Ich bin Kaufmann, heiße Januar und führe nur Rechnungen
bei mir."
Nun stieg der zweite aus, der war ein Bruder Lustig; er war Schauspieldirektor,
Direktor der Maskenbälle und aller Vergnügungen,
die man sich nur denken kann. Sein Gepäck bestand aus einer
großen Tonne.
"Aus der Tonne", sagte er, "wollen wir zur Fastnachtszeit die Katze
herausjagen. Ich werde euch schon Vergnügen bereiten und mir auch;
alle Tage lustig! Ich habe nicht gerade lange zu leben; von der
ganzen Familie die kürzeste Zeit; ich werde nämlich nur achtundzwanzig
Tage alt. Bisweilen schalten sie mir zwar auch noch einen Tag ein - aber
das kümmert mich wenig, hurra!"
"Sie dürfen nicht so schreien!" sagte die Schildwache.
"Ei was, freilich darf ich schreien", rief der Mann, "ich bin Prinz
Karneval und reise unter dem Namen Februarius."
Jetzt stieg der dritte aus; er sah wie das leibhaftige Fasten aus,
aber er trug die Nase hoch, denn er war verwandt mit den 'vierzig Rittern'
und war Wetterprophet. Allein das ist kein fettes Amt, und deshalb
pries er auch das Fasten.
In einem Knopfloche trug er auch ein Sträußchen Veilchen,
auch diese waren sehr klein.
"März! März!" rief der vierte ihm nach und schlug ihn auf
die Schulter; "riechst du nichts? Geschwind in die Wachstube hinein,
dort trinken sie Punsch, deinen Leib- und Labetrunk; ich rieche
es schon hier außen. Marsch, Herr Martius!"
Aber es war nicht wahr, der wollte ihn nur den Einfluß seines
Namens fühlen lassen, ihn in den April schicken;
denn damit begann der vierte seinen Lebenslauf in der Stadt. Er
sah überhaupt sehr flott aus; arbeiten tat er nur sehr wenig;
desto mehr aber machte er Feiertage. "Wenn es nur etwas beständiger
in der Welt wäre", sagte er;
"aber bald ist man gut, bald schlecht gelaunt, je nach Verhältnissen;
bald Regen, bald Sonnenschein; ein- und ausziehen!
Ich bin auch so eine Art Wohnungsvermietunternehmer, ich kann lachen
und weinen, je nach Umständen!
Im Koffer hier habe ich Sommergarderobe, aber es würde sehr
töricht sein, sie anzuziehen. Hier bin ich nun!
Sonntags geh' ich in Schuhen und weißseidenen Strümpfen
und mit Muff spazieren."
Nach ihm stieg eine Dame aus dem Wagen. Fräulein Mai nannte
sie sich.
Sie trug einen Sommermantel und Überschuhe, ein lindenblattartiges
Kleid, Anemonen im Haare, und dazu duftete sie dermaßen nach Waldmeister,
daß die Schildwache niesen mußte. "Zur Gesundheit und Gottes
Segen!" sagte sie, das war ihr Gruß. Wie sie niedlich war!
Und Sängerin war sie, nicht Theatersängerin, auch nicht
Bänkelsängerin, nein, Sängerin des Waldes; den frischen,
grünen Wald durchstreifte sie
und sang dort zu ihrem eigenen Vergnügen.
"Jetzt kommt die junge Frau!" riefen die drinnen im Wagen, und aus
stieg die junge Frau, fein, stolz und niedlich.
Man sah es ihr an, daß sie, Frau Juni, von faulen Siebenschläfern
bedient zu werden gewohnt war.
Am längsten Tage des Jahres gab sie große Gesellschaft,
damit die Gäste Zeit haben möchten, die vielen Gerichte der Tafel
zu verzehren.
Sie hatte zwar ihren eigenen Wagen; allein sie reiste dennoch mit
der Post wie die andern, weil sie zeigen wollte, daß sie nicht hochmütig
sei.
Aber ohne Begleitung war sie nicht; ihr jüngerer Bruder Julius
war bei ihr.
Er war ein wohlgenährter Bursche, sommerlich angekleidet und
mit Panamahut. Er führte nur wenig Gepäck bei sich,
weil dies bei großer Hitze zu beschwerlich sei; deshalb hatte
er sich nur mit einer Schwimmhose versehen, und dies ist nicht viel.
Darauf kam die Mutter selbst, Madame August, Obsthändlerin en
gros, Besitzerin einer Menge Fischteiche, sie war dick und heiß,
faßte selbst überall an, trug eigenhändig den Arbeitern
Bier auf das Feld hinaus.
"Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen!"
sagte sie, "das steht in der Bibel.
Hinterdrein kommen die Spazierfahrten, Tanz und Spiel und die Erntefeste!"
Sie war eine tüchtige Hausfrau.
Nach ihr stieg wieder ein Mann aus der Kutsche, ein Maler, Herr Koloriermeister
September; der mußte den Wald bekommen;
die Blätter mußten Farbe wechseln, aber wie schön;
wenn er es wollte, schillerte der Wald bald in Rot, Gelb oder Braun.
Der Meister pfiff wie der schwarze Star, war ein flinker Arbeiter
und wand die blaugrüne Hopfenranke um seinen Bierkrug.
Das putzte den Krug, und für Ausputz hatte er gerade Sinn.
Da stand er nun mit seinem Farbentopfe, der war sein ganzes Gepäck!
Ihm folgte der Gutsbesitzer, der an den Saatmonat, an das Pflügen
und Beackern des Bodens, auch an die Jagdvergnügungen dachte;
Herr Oktober führte Hund und Büchse mit sich, hatte Nüsse
in seiner Jagdtasche - 'knick, knack!'
Er hatte viel Reisegut bei sich, sogar einen englischen Pflug; er
sprach von der Landwirtschaft;
aber vor lauter Husten und Stöhnen seines Nachbars vernahm
man nicht viel davon. -
Der November war es, der so hustete, während er ausstieg. Er
war sehr mit Schnupfen behaftet; er putzte sich fortwährend die Nase,
und doch, sagte er, müsse er die Dienstmädchen begleiten
und sie in ihre neuen Winterdienste einführen; die Erkältung,
meinte er,
verliere sich schon wieder, wenn er ans Holzmachen ginge, und Holz
müsse er sägen und spalten; denn er sei Sägemeister der
Holzmacherinnung.
Endlich kam der letzte Reisende zum Vorschein, das alte Mütterchen
Dezember mit der Feuerkiepe; die Alte fror,
aber ihre Augen strahlten wie zwei helle Sterne. Sie trug einen
Blumentopf auf dem Arme, in dem ein kleiner Tannenbaum eingepflanzt war.
"Den Baum will ich hegen und pflegen, damit er gedeihe und groß
werde bis zum Weihnachtsabend,
vom Fußboden bis an die Decke reiche und emporschieße
mit flammenden Lichtern, goldenen Äpfeln und ausgeschnittenen Figürchen.
Die Feuerkiepe wärmt wie ein Ofen; ich hole das Märchenbuch
aus der Tasche und lese laut aus ihm vor, daß alle Kinder im Zimmer
still,
die Figürchen an dem Baume aber lebendig werden und der kleine
Engel von Wachs auf der äußersten Spitze die Flittergoldflügel
ausbreitet, herabfliegt vom grünen Sitze und klein und groß
im Zimmer küßt, ja, auch die armen Kinder küßt,
die draußen auf dem Flure und auf der Straße stehen
und das Weihnachtslied von dem Bethlehemsgestirne singen."
"So! Jetzt kann die Kutsche abfahren", sagte die Schildwache, "wir
haben sie alle zwölf. Der Beiwagen mag vorfahren!"
"Laß doch erst die zwölf zu mir herein!" sprach der Wachhabende,
"einen nach dem andern! Die Pässe behalte ich hier;
sie gelten jeder einen Monat; wenn der verstrichen ist, werde ich
das Verhalten auf dem Passe bescheinigen.
Herr Januar, belieben Sie näher zu treten."
Und Herr Januar trat näher.
Wenn ein Jahr verstrichen ist, werde ich dir sagen, was die zwölf
uns allen gebracht haben.
Jetzt weiß ich es noch nicht, und sie wissen es wohl selbst
nicht - denn es ist eine seltsam unruhige Zeit, in der wir leben.
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