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Das
sagenhafte Märchen vom guten Kartoffelkönig
Eine Geschichte aus dem Frankenland,
neu verfasst von Bert Stenger
Eines Sonntags in der Früh ging die alte Frau Kübert in
Karlburg in den Kartoffelkeller, um ein paar leckere Erdknollen für
das Mittagessen zu holen. Sorgfältig wählte sie die schönsten
und größten Exemplare aus - und bei den Küberts waren die
Kartoffeln seit jeher besondes groß, was bei gehässigen Menschen
zu allerlei Mutmaßungen führte. Als nun die Bäuerin gerade
im Begriff war, den Keller wieder zu verlassen, da fiel ihr eine ungewöhnlich
große Knolle auf, so groß, dass man aus ihr allein drei Kartoffelknödel
hätte machen können. Im Handumdrehen kam diese deshalb auch in
den Korb.
Kaum hatte sich die alte Frau auf den Rückweg zum Wohnhaus gemacht,
ertönte aus dem Korb eine zornige Stimme :
"Ich will nicht aufgegessen werden, ich mag nicht aufgegessen werden,
ich bin doch der große Kartoffelkönig", und schon sprang der
König aus dem Korb, rollte über den Hof und durch den Garten,
bis er schließlich den Blicken der verdutzten Bäuerin entschwunden
war.
Nach längerem beschwerlichen Bergauf- und Bergab-Kullern, gelangte
der Kartoffelkönig an einen großen Fluß, den Main, welchem
er aus Bequemlichkeit stromabwärts folgte. So kam er nach einiger
Zeit an eine große Brücke. Doch mit dieser Brücke musste
es etwas Besonderes auf sich haben. Es wimmelte von Menschen, Kutschen
und Pferden. Die Frauen trugen prächtige Kleider, und ihre Goldketten
und Ringe glänzten in der Sonne, so dass der Kartoffelkönig ganz
geblendet war. Neben diesen bunten Geschöpfen wirkten die Männer
in ihren knapp sitzenden schwarzen Fracks eher wie unscheinbare, plumpe
Pinguine.
"Was ist hier wohl los ?",
fragte sich der König, bis sein Blick auf einen riesigen Triumpfbogen
fiel mit der Aufschrift:
"Verknüpft durch dieser Brücke Band reicht Spessart sich
und Frankenland auf immerdar die Bruderhand"
Anmerkung: Es war der Tag der Einweihung der ersten Lohrer Mainbrücke
am 26. September 1875).
Doch da der Kartoffelkönig ja nur das Kartoffelalphabet beherrschte,
half ihm das auch nicht weiter. Neugierig rollte der Kartoffelkönig
näher, als der Lohrer Bürgermeister Keßler zu einer Festansprache
anhob. "Vielleicht verrät der Mann ja, worum es geht", dachte der
König.
Doch als der Bürgermeister ansetzte mit : "Quidquid agis, prudenter
agas et respice finem",
machte sich der Kartoffelkönig enttäuscht auf den
Weg, denn Latein verstand er auch nicht.
Unbemerkt von allen Leuten, die sich an solch einem Tag viel zu
wichtig nahmen, um auf eine herumkullernde Kartoffel zu achten, überquerte
der König die neue Brücke und erwies ihr so die königliche
Ehre.
Die Stadt auf der anderen Seite war die größte Ansammlung
von Häusern, die der Kartoffelkönig auf seinem ganzen bisherigen
Weg gesehen hatte und so begab er sich auf eine Erkundungsrundrolle. Als
er am berüchtigten Lohrer Maulaffeneck ankam, stand plötzlich
ein großes Schwein vor ihm und grunzte vor Freude: "So eine große
Kartoffel kommt mir zwischen dem ersten und zweiten Frühstück
gerade recht."
Es war Elfriede, das dickste Schwein des Bürgermeisters. Entrüstet
und angewidert entgegnete der Kartoffelkönig: "Von einer so dicken
Sau wie dir lass ich mich nicht fressen", und noch ehe es sich die beiden
kleinen Schweinsäuglein versahen, war die Zwischenmahlzeit von dannen
gerollt. Mit einem enttäuschten hochtönigen Grunzer räumte
das Schwein ebenfalls das Feld und dachte an sauere Trauben.
Da ihm diese Stadt nach solch einer Erfahrung zu gefährlich
erschien, schlug sich der Kartoffelkönig in den dichten Spessartwald.
Aus Furcht, die Sau könnte ihn vielleicht verfolgen, rollte er so
schnell seines Weges, dass er fast mit dem Igel Hubert zusammengestoßen
wäre, der gerade von seinem sonntäglichen Keilerstammtisch nach
Hause trottete.
Hubert war schlecht gelaunt. Es hatte Ärger mit den anderen
Stammtischbrüdern gegeben, als diese gemerkt hatten, dass er gar kein
Keiler, sondern ein Igel war und so raunzte er den Kartoffelkönig
an:
"Kannst du nicht aufpassen, du dumme Kartoffel! Aber Moment mal,
für meinen Mittagstisch kommst du gerade recht!"
Da aber unser Kartoffelkönig von Stammtischbrüdern im Gegensatz
zu manchen heutigen Ministerpräsidenten nicht besonders viel hielt
und ihm auch die Idee, in einem Igelmagen zu landen, nicht sonderlich gefiel,
legte er noch einige Kartoffelaugen zu und raste davon. Der Igel tat, wie
immer in solchen Fällen, so, als sei nichts geschehen und schlurfte
murrend und grollend weiter Richtung Heimat.
Kaum glaubte sich der Kartoffelkönig außer Gefahr, da
tauchte auch schon die nächste in Form des Hasen Franz auf. Franz
war der Spitzensprinter in der Spessartliga und sein Denken kreiste stets
um Sport und Fitness.
Als er die riesige Kartoffel erblickte, rechnete Franz daher sofort
die darin enthaltenen Kohlehydrate und die damit verbundene prozentuale
Leistungssteigerung in Kilojoule aus. Leider war er damit so beschäftigt,
dass er gar nicht bemerkte, wie die Kartoffel einfach weiter rollte und
ihn rechnend zurückließ.
Es dämmerte bereits, als der Kartoffelkönig eine Ortschaft
namens Frammersbach erreichte. Vor einer armseligen Hütte am Dorfanfang
spielten zwei Kinder. Als sie den Kartoffelkönig entdeckten, trugen
sie ihn voller Freude und zur Überraschung des Kartoffelkönigs
ins Haus.
Zuerst wollte der Kartoffelkönig wiederum die Flucht ergreifen,
doch als die Mutter der Kinder ihn sorgfältig wusch und er sah, wie
sehr sich alle über seine Anwesenheit freuten, da beschloss der König
zu bleiben und sein Schicksal zu erfüllen. Diese Familie sollte heute
nicht hungrig zu Bett gehen.
So kam er schließlich in einen Topf auf dem Herd und als das
Wasser sich langsam erwärmte, schlief der Kartoffelkönig zufrieden
ein und träumte von einem schönen Thron im Kartoffelhimmel.
Anmerkung: Durch die im Märchen erwähnte Mainbrücke
wurde Lohr das "Tor zum Spessart" oder "das Spessarttor" (von Franken aus
gesehen).
Die Brücke verband von nun an das reiche Frankenland mit dem
armen Spessart.
Im Märchen symbolisiert bzw. vollzieht der Kartoffelkönig
diese Verbindung.
(Spruchband auf dem Triumpfbogen am Eingang der Zufahrtstraße
zur Brücke
am 26. September 1875: "Verknüpft durch dieser Brücke
Band Reicht Spessart sich und Frankenland Auf immerdar die Bruderhand")
(Mit freundl. Erlaubnis von Bert Stenger Email: eduard.stenger@gmx.net) |
Wissenswertes
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