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Tausend
und eine Nacht - Geschichte der drei Äpfel
Man behauptet, o König der Zeit und Herr deines Jahrhunderts!
der Kalif Harun Arraschid habe in der Nacht einmal seinen Vezier rufen
lassen und ihm gesagt:
"Wir wollen miteinander in die Stadt gehen und hören, was es
in der Welt Neues gibt; wir wollen die Leute über die Urteile der
Richter ausfragen, und den absetzen, über welchen man sich beklagt,
und den belohnen, den man lobt."
Da es Djafar angenehm war, gingen sie miteinander durch die Straßen
und Bazars, der Kalif, Djafar und der Diener Masrur, Da sahen sie am Ende
einer Straße einen alten Mann mit einem Netze, einem Korbe und einem
Stock auf dem Kopfe. Der Kalif sprach zu Djafar:
"Dies ist gewiß ein armer, bedürftiger Mann."
Er sagte dann den Alten, wer er sei, und dieser antwortete: "Mein
Herr! ich bin ein Fischer, habe Familie, bin heute mittag vom Hause weggegangen,
und bis jetzt habe ich nichts fangen können; ich habe nichts, das
ich verpfänden könnte, um meiner Familie ein Nachtessen dafür
zu bringen, ich kam daher in Verzweiflung, haßte das Leben und wünschte
mir den Tod."
Da entgegnete der Kalif: "Willst du wohl, o Fischer! mit uns zum
Tigris zurückkehren und das Netz auf mein Glück auswerfen? Ich
gebe dir hundert Dinare für deinen Fang."
Der Alte sagte freudig: "Recht gern, mein Herr!"
Sie gingen hierauf zusammen an den Tigris, der Fischer warf sein
Netz aus, zog dann die Schnur zusammen und brachte eine geschlossene, schwere
Kiste herauf. Der Kalif gab den Fischer zweihundert Dinare, und Masrur
trug die Kiste ins Schloß. Als sie dieselbe öffneten, fanden
sie einen Korb von Palmblättern, mit roter Wolle zugemacht. Als sie
den Korb öffneten, sahen sie ein Stück von einem Teppich darin,
und als sie diesen aufhoben, erblickten sie einen Mantel, viermal zusammengelegt,
und unter diesem ein junges Mädchen, rein wie Silber, aber in Stücke
zerhauen.
Als der Kalif das Mädchen in neunzehn Stücke zerschnitten
sah, ward er sehr bestürzt, er vergoß Tränen, wandte sich
zornig zu Djafar und sagte:
"Du Hund unter den Vezieren! man bringt die Leute in meiner Stadt
um, und wirft sie in den Strom, die dann bis zum Auferstehungstag auf meiner
Verantwortlichkeit lasten. Bei Gott! ich will dieses Mädchen an ihrem
Mörder rächen, und ihn auf die härteste Weise hinrichten
lassen. Kannst du den Mörder nicht auffinden, so werde ich dich und
vierzig deiner Vettern hängen lassen."
Der Kalif ward immer grimmiger und schrie Djafar fürchterlich
an; dieser bat um drei Tage Frist, und als der Kalif sie ihm gewährte,
ging er betrübt und zornig in die Stadt und wußte nicht, was
er tun sollte; denn er dachte: wie soll ich den Mörder dieser jungen
Frau entdecken und dem Kalifen bringen? ich weiß mir keinen Rat;
es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei dem erhabenen Gott.
Er ging nach Hause und blieb bis zum dritten Tage gegen Mittag dort; da
schickte der Kalif nach ihm und fragte ihn:
"Wo ist der Mörder der jungen Frau?"
Djafar antwortete: "Bin ich der Untersuchungsrichter über die
Ermordeten, o Fürst der Gläubigen?" A
ber der Kalif schrie ihn zornig an und befahl, daß man ihn
unten am Schlosse aufhänge und in ganz Bagdad ausrufe:
"Wer den Vezier Djafar und vierzig seiner Vetter von den Barmakiden
hängen sehen will, soll unten ans Schloß kommen!"
Es kam dann der Stadtaufseher, einige Offiziere und der Vater Djafars;
man stellte sie unter den Galgen und wartete nur noch, bis vom Fenster
das Signal gegeben werde; das Volk weinte über ihr Schicksal. Da kam
auf einmal ein junger Mann, hübsch gekleidet, mit einem Mondgesichte,
weiten Augen, glänzender Stirne, roten Wangen, hellen Locken und einem
Fleckchen wie ein Ambrakügelchen; er drängte sich durch das Volk,
bis er vor Djafar stand; da küßte er ihm die Hand und sagte:
"Heil! ich befreie dich von dieser Strafe; steh auf, o Herr der Veziere!
Zuflucht der Armen! Oberster der Fürsten; hänge mich statt der
Erschlagenen und räche sie an mir, denn ich bin ihr Mörder."
Als Djafar dies hörte, freute er sich über seine Rettung,
war aber betrübt über den Jüngling.
Während er so mit ihm sprach, kam ein alter, sehr bejahrter
Mann, drängte sich durch die Leute bis er vor Djafar war, und rief:
"O großer Herr und Vezier! glaube nicht, was dieser junge
Mann sagt; nicht er hat die junge Frau getötet, sondern ich; räche
sie also an mir, oder ich werde einst vor dem erhabenen Gott von dir Rechenschaft
fordern."
Der junge Mann sagte darauf: "Kein anderer als ich hat die junge
Frau getötet."
Da sprach der Alte: "O mein Sohn! ich bin alt und lebenssatt, du
bist jung, ich will mein Leben für das deinige hingeben; ich habe
die junge Frau getötet, drum hänge mich schnell, denn ich mag
doch nicht leben, seitdem sie von mir weg ist."
Als Djafar diesen Streit hörte, erstaunte er sehr darüber,
und führte den Alten und den Jüngling zum Kalifen; er küßte
die Erde siebenmal und fragte:
"Wir bringen hier zwei Männer, von denen jeder behauptet, die
junge Frau getötet zu haben."
Nachdem der Kalif beide betrachtet, fragte er:
"Wer von euch hat die junge Frau erschlagen und in den Strom geworfen?"
Da antwortete der Alte: "Kein anderer, als ich;" und der Junge sagte
dasselbe. Da sagte der Kalif zu Djafar: "Geh und laß sie beide hängen!"
Djafar aber erwiderte: "O Fürst der Gläubigen! wenn sie
doch nur einer getötet, so würde der andere ungerechterweise
gehängt."
Da sagte der junge Mann: "Bei dem, der den Himmel gewölbt,
ich habe sie getötet, in einen Korb von Palmblättern gelegt,
mit einem Mantel zugedeckt, dann ein Stück Teppich drum gelegt und
mit roter Wolle zugenäht; räche also ihren Tod an mir!"
Der Kalif fragte erstaunt: "Warum hast du sie unschuldigerweise
getötet und dich selbst in eine solche Lage gebracht?"
Da antwortete der Jüngling: "O Fürst der Gläubigen!
es ist mir mit ihr etwas widerfahren, wenn man es mit der Nadel auf das
Tiefe des Auges stechen wollte, könnte jeder sich daran belehren."
Der Kalif sagte: "Erzähle mir deine Geschichte!" und der junge
Mann antwortete: "Gott und dem Fürsten der Gläubigen ziemt Gehorsam,"
und begann hierauf:
Wisse, o Fürst der Gläubigen! die erschlagene Frau war
mein Weib, Mutter meiner Kinder und meine Muhme. Dieser Alte ist mein Oheim
und ihr Vater, er verheiratete sie mit mir, als sie noch Jungfrau war;
ich lebte elf Jahre mit ihr als mit einer gesegneten Gattin, sie gebar
mir drei Söhne, führte einen reinen Lebenswandel und bediente
mich so gut, als nur möglich; aber auch ich liebte sie sehr heftig
und als sie einmal in diesen Monaten sehr krank wurde, bediente ich sie
aufs sorgfältigste. Nach Verlauf eines Monats ward sie nach und nach
wieder besser. Da sagte sie mir eines Tages, ehe sie ins Bad ging:
"O mein Vetter! ich möchte, daß du mir einen Wunsch gewährtest."
- "Ich werde ganz gehorsam sein", antwortete ich, "und hättest
du auch tausend Wünsche".
Da sagte sie: "Ich gelüste nach einem Apfel, um daran zu riechen
und einen Bissen davon zu essen; nachher möchte ich allenfalls sterben."
Ich sagte zu ihr: "Gott gebe deine Genesung!" Ich suchte dann in
ganz Bagdad und konnte keinen Apfel finden, denn hätte ich einen auch
mit meinen Augen bezahlen müssen, so hätte ich ihn gekauft. Es
tat mir sehr weh, den Gegenstand ihres Wunsches nicht finden zu können.
Ich ging nach Hause und sagte ihr:
"Liebe Muhme, ich habe bei Gott! keinen Apfel finden können."
Ihre Krankheit nahm in jener Nacht wieder sehr zu; ich stand daher
am anderen Morgen auf und suchte in allen Gärten herum und konnte
noch immer nichts finden. Da sprach zu mir ein alter Gärtner: "Mein
Sohn, du wirst nirgends Äpfel finden, außer im Garten des Fürsten
der Gläubigen zu Baßrah, von denen sich bei seinem Verwalter
ein Vorrat findet."
Ich ging nach Hause, und von meiner Liebe und Treue zu ihr bewogen,
machte ich Anstalten zur Reise und reiste einen halben Monat lang Tag und
Nacht nach Baßrah und zurück, und brachte drei Äpfel, die
ich vom Verwalter für drei Goldstücke gekauft, mit mir und überreichte
sie meiner Frau. Sie dachte aber gar nicht mehr daran und warf sie neben
sich hin, und ward noch zehn Tage lang immer schwächer und kränker.
Einst saß ich in meinen Laden und handelte mit Waren, da kam auf
einmal ein großer, starker, häßlicher Sklave auf den Markt,
mit einem der drei Äpfel in der Hand, wegen welcher ich einen halben
Monat lang auf der Reise gewesen war. Ich rief dem Sklaven zu und sagte
ihm: "O guter Sklave, woher hast du diesen Apfel?"
Da antwortete er: "Ich habe ihn von meiner Geliebten; als ich sie
heute besuchte, denn sie ist krank, fand ich drei Äpfel bei ihr, und
sie sagte mir, daß ihr Mann eine Reise von einem halben Monat gemacht,
um sie ihr zu bringen; ich aß und trank mit ihr und nahm einen der
drei Äpfel, mit dem du mich hierherkommen gesehen."
Nun, o Fürst der Gläubigen! ward mir die Welt ganz schwarz,
als ich dies hörte; ich schloß sogleich den Laden, ging nach
Hause und war außer mir vor Zorn und Wut: ich sah nach den Äpfeln
und fand wirklich nur zwei; ich fragte meine Muhme, wo denn der dritte
Apfel sei? Sie hob den Kopf auf und sagte: "Bei Gott, mein Vetter, ich
weiß es nicht."
Nun war ich von der Wahrheit der Erzählung des Sklaven überzeugt;
ich nahm ein scharfes Messer, trat von hinten zu ihr, sagte ihr kein Wort,
bis ich auf ihr saß, und schnitt ihr den Kopf ab, legte sie dann
schnell in einen Korb, nähte einen Mantel um sie und drüber noch
ein Stück Teppich, legte sie in eine Kiste, nahm sie auf den Kopf
und warf sie in den Tigris. Nun, bei Gott, o Fürst der Gläubigen,
räche sie an mir; laß mich schnell hängen, sonst werde
ich einst vor Gott Rache für sie von dir fordern; denn als ich nach
Hause kam, sah ich, wie mein ältester Sohn schrie, und als ich ihn
fragte, was er wolle, sagte er mir:
"Mein Vater, ich habe diesen Morgen meiner Mutter einen der drei
Äpfel gestohlen, die du ihr gebracht, und bin damit auf die Straße
gegangen, da kam ein langer, schwarzer Sklave und nahm ihn mir weg; ich
rief ihm zu:
"O guter Sklave, dieser Apfel gehört meiner Mutter; mein Vater
hat eine Reise von einem halben Monat nach Baßrah gemacht, um meiner
kranken Mutter drei Äpfel von dort zu holen, bringe mich daher nicht
in Verlegenheit; er gab mir aber kein Gehör. Als ich ihm dann dasselbe
zwei bis dreimal wiederholte, schlug er mich und lief fort; aus Furcht
vor der Mutter blieb ich mit meinen Brüdern den ganzen Tag vor den
Toren der Stadt; nun wird es aber Nacht und, bei Gott! ich fürchte
mich sehr vor ihr; o mein Vater, sage ihr nichts, sie möchte sonst
noch kränker werden."
Als ich die Worte meines Sohnes hörte und seine Furcht und
sein Weinen sah, wußte ich, daß ich die junge Frau unschuldig
ermordet, und daß der verruchte Sklave gelogen, da er die Geschichte
der Äpfel nur von meinem Sohne vernommen; als ich dies einsah, weinte
und schluchzte ich mit meinen Kindern; da kam dieser alte Mann, ihr Vater,
mein Oheim, dazu; ich erzählte ihm alles, was vorgefallen; wir weinten
miteinander bis Mitternacht und trauerten drei volle Tage über den
Tod der Unschuldigen. An allem diesem war aber der Sklave Schuld. Dies
ist meine Geschichte mit der Ermordeten. Nun, bei deinen Ahnen! laß
mich hinrichten, denn ich mag nicht mehr leben; räche das Unrecht,
das ich getan!" Als der Kalif dies hörte, war er sehr erstaunt darüber
und sagte:
"Ich werde niemanden als den verruchten Sklaven hängen lassen;
ich will tun, was den nach Genugtuung Verlangenden befriedigen und dem
erhabenen König gefallen muß. "
Djafar ging weinend weg und sagte: "Nun ist mein Tod nahe, der Krug
geht zum Brunnen, bis er bricht; doch hat mich der Geist des Allmächtigen
zum ersten Male gerettet, so wird er es vielleicht auch dieses Mal wieder
tun; und, bei Gott, ich werde wieder drei Tage nicht aus dem Hause gehen;
möge Gott, was geschehen soll, vollziehen!"
Er blieb so bis zum dritten Tage gegen Mittag und verzweifelte halb
an seinem Leben; schon ließ er Richter und Zeugen kommen, schrieb
sein Testament und nahm weinend von seinen Töchtern Abschied. Da kam
ein Bote vom Kalifen und meldete ihm:
"Der Kalif ist in höchster Wut und hat geschworen, der Tag
werde nicht vorübergehen, ehe du gekreuzigt worden."
Djafar, seine Sklaven und alle, die im Hause waren, weinten; als
Djafar von seinen Töchtern und allen Hausleuten Abschied genommen
hatte, kam die jüngste Tochter zu ihm; sie hatte ein leuchtendes Gesicht,
und er liebte sie am meisten von allen; er drückte sie an seine Brust,
küßte sie und weinte wegen der Trennung von seinen Kindern und
seiner Frau. Als er sie aus Liebe recht fest an sich drückte, fühlte
er etwas Hartes. Er fragte: "Was hast du in der Tasche, meine Tochter,
das ich spüre?"
Da sagte die Kleine: "Einen Apfel, auf dem der Name unseres Herrn,
des Kalifen, geschrieben steht; unser Sklave Rihan hat ihn gebracht, wollte
mir ihn aber nur für zwei goldene Dinare geben."
Als Djafar vom Apfel und dem Sklaven hörte, schrie er auf und
griff in die Tasche seiner Tochter, zog den Apfel heraus, erkannte ihn
und sagte: "O die Rettung ist nahe!"
Er ließ sogleich den Sklaven rufen, und als er erschien, sagte
er: Wehe dir Rihan, wo hast du diesen Apfel her?"
Da sagte der Sklave: "Bei Gott, mein Herr! wenn Lüge etwas
hilft, so hilft doch die Wahrheit noch einmal so viel. Ich habe diesen
Apfel nicht in deinem Schlosse, nicht im Schlosse und nicht im Garten des
Kalifen gestohlen, sondern als ich vor vier Tagen in den Straßen
der Stadt umherging, sah ich Kinder spielen, und ein kleiner Knabe ließ
diesen Apfel fallen; ich schlug den Kleinen und nahm ihm den Apfel weg;
er sagte weinend:
"O Mann! dieser Apfel gehört meiner kranken Mutter, die so
sehr danach gelüstet, daß mein Vater ihr drei von einer Reise
bringen mußte; ich habe einen davon genommen, gib mir ihn also wieder
zurück."
Ich wollte ihn aber nicht zurückgeben, sondern brachte ihn
hierher und verkaufte ihn meiner kleinen Gebieterin für zwei Dinare.
Dies ist meine Erzählung." Als Djafar dies hörte, wunderte er
sich sehr, wie alles Unglück von seinem Sklaven entsprungen; er stand
freudig auf, ergriff die Hand des Sklaven, führte ihn zum Kalifen
und erzählte ihm die Geschichte von Anfang bis zum Ende. Der Kalif
war höchst erstaunt und lachte heftig; dann sagte er:
"Dein Sklave ist also der Urheber alles Unglücks?"
- "Freilich!" antwortete Djafar ...
(Aus: Tausendundeine Nacht - gefunden bei gutenberg.de) |
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