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Wimbauer, Tobias
Eine Rezension
Das Telephon klingelt. Joachim nimmt ab. Es ist drei Uhr mittags,
am Apparat ist die Redaktion. Ein Werbekunde habe abgesagt, man müsse
nun zwei Spalten redaktionell füllen. Er, Joachim, habe doch vor ein,
zwei Monaten den neuen Roman von Schriftsteller Soundso bekommen. Joachim
schaut an die Decke und erinnert sich weder des Romans noch des Autors.
Der Redakteur sagt: „Bittebitte, mailen Sie mir Ihre Rezension bis 17 Uhr,
1800 Zeichen, ist dann morgen drin.“
Joachim sagt: „Das wird eng.“
Der Redakteur sagt noch einmal „bittebitte“, und Joachim stimmt
zu.
Joachim geht zu dem Bücherstapel auf seinem Schreibtisch und
stapelt dort die Bücher um. Der Roman ist nicht dabei. Dann geht Joachim
zu dem Bücherstapel auf seinem Nachttischchen und schaut dort die
Bücher an. Der Roman ist nicht dabei. Auch nicht in der Küche
bei den Zeitungen, auch nicht im Arbeitszimmer auf dem Lesetisch. Er googelt
den Romantitel. Immerhin findet er den Klappentext des Verlages im Internet. Darin steht, der Roman sei ein vertrackter
Kriminalroman. Also schreibt Joachim: „Das Erscheinen eines feinkomponierten
und geradezu vertrackten Krimis ist zu vermelden.“ Und zählt: noch
1714 Zeichen.
Er setzt einen Doppelpunkt, kopiert den Namen des Autors
und den Titel in sein Schreibprogramm, setzt in Klammern dahinter die bibliographischen
Angaben, die der Verlag gegeben hat, und schon ist er bei 1500 verbleibenden
Zeichen angelangt. Im Klappentext heißt es weiter, daß der
Autor selbst Polizist werden wollte, also schreibt Joachim „autobiographisch?“
und markiert diese Zeile rot. Dann heißt es, daß der Roman
in Schleswig-Holstein spiele und mit der Landschaft eng verwoben sei. „Aha“,
sagt Joachim und schreibt los. Erst einen Absatz über Schleswig-Holsteins
Landschaft im Allgemeinen und im Speziellen, dann über den landestypischen
Charakter, wie er für Krimis bislang doch nur mit Kommissar Klaus Borowski repräsentiert worden sei, und
dann einen Abschnitt über Borowski und seine Psychologin und über
Axel Milberg.
In den verbleibenden 400 Zeichen variiert Joachim das Thema „autobiographische
Elemente und Autor als gerngewesener Polizist“, um mit dem Eingeständnis
zu schließen, daß nichts mehr fehl am Platze sei, als irgendetwas
von der Handlung dieses packenden Krimis zu verraten. Daß dem Rezensenten,
so er kein Spielverderber sein wolle, allenfalls zugestanden sei, Andeutungen
über Stimmung und Hintergrund zu geben, und er ansonsten allein die
dringliche Kaufempfehlung aussprechen könne.
1793 Zeichen — die fehlenden Sieben bügelt die Redaktion dann
schon aus mit Absätzen und Formatierung.
Joachim ruft in der Redaktion an: „Ist fertig“, und mailt den Text
an den Redakteur. Wenige Minuten später ruft der Redakteur bei Joachim an; er ist begeistert und bedankt sich.
Anderntags liest ein Autor mit zufriedenem Glück die Rezension
seines Buches, keiner hat ihn je so gut verstanden, der Verlag
wird Auszüge aus Joachims Besprechung auf dem Umschlag künftiger
Auflagen abdrucken, und Joachim bekommt sein Honorar
überwiesen. Alle sind zufrieden. Und irgendwann fällt
Joachim dann ein, daß er das Besprechungsexemplar vor ein paar Wochen
Tante Margret zu ihrem Achtzigsten geschenkt hatte.
(aus: Tobias Wimbauer Lagebericht
und andere Erzählungen mit freundlicher Erlaubnis des Autors und Verlages) |
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